Eine Schwitzhütte braucht Zeit. V.a. wenn man nicht nur eine durchführt, sondern auch noch baut. Da braucht man die richtigen Äste: biegsam müssen sie sein und widerstandsfähig und lang, am besten drei Meter. Hasel ist gut oder auch Weide. In diesem Fall nahmen wir Weide. Die Schwitzhütte beginnt mit der Vorbereitung und endet mit dem Aufräumen am nächsten Tag. Die Nacht, der Schlaf, das Träumen dazwischen gehören dazu.
Die Schwitzhütte gestaltet einen Raum, in dem alles, was während der Vorbereitung, der eigentlichen Durchführung und der Nachbereitung geschieht, seinen eigenen Platz hat. Es ist ein Ritual-Raum, in dem jede Handlung in ein Netz von Bedeutungen verflochten ist. Dadurch bekommen der Raum und die Zeit in der Schwitzhütten-Periode eine ganz eigene Dichte und Qualität (ich selbst erlebe das als Erwartungsspannung und gleichzeitig als tiefe Ruhe).
Wenn man eine Schwitzhütte durchführt, tut man es mit dem Bewusstsein der großen Zeit und des großen Raumes: es ist das Bewusstsein, dass alles miteinander zusammenhängt, sich gegenseitig bestimmt und durchdringt, zeitlich und räumlich. Das Schneiden und Sammeln der Weidenäste geschieht mit dem Bewusstesein, dass die Weide ein empfindendes Wesen ist. Das Bauen der Schwitzhütte geschieht nach einem Plan, der funktional und symbolisch zugleich ist. Es gibt die Ost-West Ausrichtung, die zugleich auch die Sonnen-Vater und Mutter-Erde Achse ist. Nord-Süd ist das Reich der Pflanzen und der Tiere. So wie alle Handlungen, die mit der Schwitzhütte zu tun haben, miteinander in direkter Verbindung stehen, so berühren sich auch alle Zweige, die zum Bau der Schwitzhütte verwendet werden, miteinander. Wiederum entsteht so ein Eindruck der Dichte, der Kompaktheit, Solidität und Stärke.
Das Durchführen und Bauen einer Schwitzhütte ist kein lineares Ereignis, sondern geschieht in Parallelentwicklungen: Bau der eigentlichen Schwitzhütte, Erstellen des Altars, Vorbereitung des Kräuterbades und der Feuerstelle geschehen nebeneinander her. Jeder findet, ohne aufwendiges vorheriges Koordinieren, seine Rolle im Ganzen. Es ist eine konzentrierte, intensive, meditative, betriebsame Aktivität. Die drei Fokalpunkte des definierten Schwitzhüttenraums sind die Schwitzhütte selber, die Feuerstelle und der Altar. Die beiden ersten sind die großen Fokalpunkte, während der Altar ein kleiner ist. Die Feuerstelle und die Schwitzhütte sind räumlich und symbolisch aufeinander bezogen, die Verbindung zwischen ihnen wird während der Schwitzhütte aufrechterhalten, indem keiner der Teilnehmer, ausgenommen von fire und dance chief, den Weg, der von der Schwitzhütte zur Feuerstelle führt, durchquert. Beheizt wird die Schwitzhütte von mit dazu geeigneten Steinen, die dafür durch ein Ritual vorbereitet werden. Über die Steine werden die verschiedenen Geister in die Schwitzhütte eingeladen: die Himmelsrichtungen, das Tier- und Pflanzenreich, die Ahnen, die Träume und die Gestalter der Träume, die Planeten, das Menschenbewusstsein und noch viele andere. Auch können die Steine Träger spezifischer Nachrichten, Wünsche und Sehnsüchte werden.
So wie Feuerstelle und Schwitzhütte miteinander in Verbindung stehen, so tun es auch fire chief und dance chief (symbolisch). Das Feuer steht für das männliche, aktive und die Schwitzhütte für das weibliche, empfangende Prinzip. Die Hitze des Feuers wird über die Steine in die noch kalte Schwitzhütte getragen, die dadurch befruchtet wird und bereit ist, ein eigenes Leben zu gebären.
Die Verwandlung der Schwitzhütte von einem Gerüst aus Weidenästen und darüber mehrlagig gelegten Decken in eine unendliche und grenzenlose Zeit-Raum-Welt ist für mich das zentrale Mysterium der Schwitzhütte. Der Raum in der Schwitzhütte ist beseelt, lebending, voller Potential, ein Ort der Träume, Visionen und Erscheinungen. Er ist das universale Echo des eigenen, individuellen Bewusstseins. Wer hier eintritt und sitzt, kann die Entgrenzung des eigenen Bewusstseins erfahren, und kann direkt erleben, wie Materie vom Geistigen beseelt wird.
Der Raum ist heiß. Manchmal sehr heiß. Manchmal so heiß, dass man meint, man atme Feuer. Und er ist dunkel. So dunkel wie eine mehrfach ineinander gerollte Nacht. Und doch ist der Raum voller Licht, eben dem Licht des universalen und individuellen Bewusstseins. Die absolute Dunkelheit aktiviert das körperliche, emotionale, mentale und spirituelle Erleben auf intensivste Weise. Zu dieser Intensität gehören auch das Nicht-Ausweichen und das Sich-nicht-ablenken-Können. Da einem der Weg nach außen versperrt ist (ein Abbrechen der Schwitzhütte für den Einzelnen ist nur in Ausnahmesituationen zulässig), bleibt einem nur der Abstieg (Aufstieg?) ins eigene Innere. Diese intensive Verinnerlichung, die für mich verglichen werden kann mit mythologischen Beschreibungen eines Abstiegs in die Unterwelt, führt zu Umwandlungen, die einem entweder gleich bewusst sind (Epiphanien) oder unbewusst fortwirken, und die kraftvoll über einen längeren Zeitraum umgestalten. Der Vergleich mit dem Abstieg in die Unterwelt, dem Sterben im Leben, ist nicht zu weit hergeholt, denn auch in der Schwitzhütte begegnen wir Schattengestalten, Chimären, Visionen, personifizierten Ängsten, aber auch, anders als in der Unterwelt, freudigen Erscheinungen, inneren Ekstasen. Der Körper schwitzt, zerfließt in Schweiß und legt das Feinstoffliche frei, das Licht, die reine Energie. Die Schwitzhütte ist eine Tiefenreinigung der verschiedenen Körper, des emotionalen, mentalen, spirituellen und natürlich des körperlichen. Für mich ist die Schwitzhütte darüber hinaus auch ein Ort, in dem universale Wahrheiten bestätigt und erlebt werden.
R.J., 9.11.2015, nach der Samhain-Schwitzhütte